Wer einmal lautlos durch die Luft geglitten ist, hoch über Feldern, Wäldern und dem glitzernden Band der Werra, der weiß: Fliegen ist Leidenschaft und Lebenseinstellung. Es ist der Traum von der Schwerelosigkeit, den schon Kinder träumen – und den der Eschweger Luftsportverein e.V. (ELV) seit nunmehr 75 Jahren für Menschen jeden Alters erfahrbar macht. 2025 feiert der Verein sein Jubiläum und blickt dabei auf eine bewegte Geschichte zurück.
Von der Vision zum Verein
Nach dem Zweiten Weltkrieg war in Deutschland nicht nur der militärische, sondern auch der zivile Luftsport verboten. Motorisierte und unmotorisierte Flüge waren untersagt – der Himmel blieb verschlossen. Doch die Sehnsucht nach dem Fliegen lebte weiter. Tausende Flugsportbegeisterte versammelten sich auf der Wasserkuppe, dem „Berg der Flieger“, und setzten ein starkes Zeichen: Die Gründung des Deutschen Aeroclubs, ein Zusammenschluss aus früheren Piloten, Segelfliegern und Visionären, war 1950 der erste Schritt hin zu einer neuen, friedlichen Luftsportbewegung. Auch in Eschwege fand sich eine kleine Gruppe Gleichgesinnter zusammen, inspiriert von der Bewegung auf der Wasserkuppe. Am 22. Oktober 1950 gründeten sie den Eschweger Luftsportverein – doch das Fliegen selbst war in Eschwege aufgrund der Zonenrandlage und strenger Vorgaben weiterhin nicht erlaubt. Was folgte, war Improvisation und Durchhaltevermögen.
Ein Gleiter für den Traum vom Fliegen
Da das Fliegen in der Region noch untersagt war, entwickelte die kleine Gruppe eine kreative Alternative: Ein Schulgleiter sollte zumindest erste Sprünge und Gleitflüge ermöglichen. Diese „Sprunggeräte“, die mit Gummiseilen gestartet wurden, ermöglichten kurze Flüge aus geringer Höhe. Ein kostbares Training für die späteren Fliegergenerationen. Der nächste große Schritt folgte im Winter 1953: In monatelanger Arbeit und mit viel handwerklichem Geschick bauten die Mitglieder in der Aula der Friedrich-Wilhelm-Schule ein komplettes Segelflugzeug – das legendäre Grunau Baby. Es war ein einsitziges Segelflugzeug, geeignet für Piloten bis 60 Kilogramm. Da Eschwege noch keine Starterlaubnis hatte, wurde das Flugzeug im Schwalm-EderKreis geflogen – verbunden mit weiten Fahrtwegen.
Erst 1960 durfte das Grunau Baby mit einer Sondergenehmigung erstmals in Eschwege abheben. Es war ein Meilenstein in der Vereinsgeschichte – der Lohn für zehn Jahre Geduld und Beharrlichkeit. Danach entwickelte sich der Verein stetig weiter: Weitere Flugzeuge wurden angeschafft, die Mitgliederzahlen wuchsen, und das Segelfliegen wurde fest in der Region verankert.
Dem Traum vom Fliegen ganz nah
Heute zählt der ELV rund 145 Mitglieder, von denen etwa 35 aktiv fliegen. Der Schwerpunkt liegt dabei klar auf der Ausbildung insbesondere junger Menschen. Wichtig ist ein allgemein guter Gesundheitszustand. Die Ausbildung vereint praktische Flugerfahrung mit fundierter theoretischer Schulung und ermöglicht bereits Jugendlichen ab etwa 13 Jahren den Einstieg in den Segelflug. Nach ersten Schulflügen mit Fluglehrer im doppelsitzigen Ausbildungsflugzeug folgen die ersten Alleinflüge, die sogenannte A-Prüfung. Schritt für Schritt vertiefen die Flugschülerinnen und -schüler ihre Fähigkeiten im Umgang mit ein- und zweisitzigen Flugzeugen, trainieren verschiedene Fluglagen, führen Außenlandeübungen durch und sammeln Erfahrungen auf fremden Flugplätzen.
Ziel ist es, sicher und eigenständig Thermik zu nutzen, Navigationsaufgaben zu meistern und Streckenflüge zu absolvieren. Parallel zur Praxis findet die theoretische Ausbildung statt, die alle relevanten Themenfelder des Segelflugs abdeckt: Luftrecht, Meteorologie, Navigation, Kommunikation, Flugplanung, Technik, menschliches Leistungsvermögen und mehr. Nach bestandener interner Theorieprüfung sowie einer mindestens 15-stündigen Flugausbildung mit 45 Starts und Landungen, zwei Stunden Alleinflug und einer praktischen Prüfung vor Ort, kann schließlich die Segelfluglizenz SPL erworben werden.
Thomas Schirmer, Schriftführer des Vereins, weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell aus Neugier Leidenschaft werden kann: „Ich kam damals eigentlich nur mit meinem 14-jährigen Sohn zum Tag der offenen Tür und machte einen Schnupperflug – danach war ich infiziert.“ Vater und Sohn machten den Flugschein gemeinsam. „Das Schöne am Segelfliegen ist: Man sitzt zwar allein im Cockpit, aber man kommt ja nie allein in die Luft“, sagt Schirmer.
Die gegenseitige Unterstützung und das generationsübergreifende Miteinander schätzt er besonders: „Unsere jüngsten Mitglieder sind 13 Jahre alt, unser ältester Pilot fliegt noch mit über 80 – das funktioniert nur, weil man ein echtes Team ist.“ Für ihn ist Fliegen auch eine mentale Auszeit: „Im Flugzeug spielt der Alltag keine Rolle mehr. Man kann nichts anderes tun, als sich auf das Fliegen zu konzentrieren. Alles fällt von einem ab.“ Nicht selten entwickelt sich daraus ein echtes Bedürfnis: „Es hat schon einen gewissen Suchtfaktor“, ergänzt er schmunzelnd.
Tag der offenen Tür 2025
Anlässlich seines 75-jährigen Bestehens lädt der Eschweger Luftsportverein e.V. am Samstag, 23. August, zum Tag der offenen Tür auf das Segelfluggelände Stauffenbühl ein. Ab 11 Uhr erwartet die Besucherinnen und Besucher ein abwechslungsreiches Programm, bei dem sie den Flugsport hautnah erleben können. Geboten werden unter anderem Schnupperflüge in Segelflugzeugen, Motorseglern und sogar im Ultraleicht-Hubschrauber Aerotec CoAX 600. Modellflugvorführungen, ein Flugsimulator, eine Kinderecke mit Hüpfburg, Flugplatzführungen sowie Informationsveranstaltungen zur Geschichte des Segelflugs in Eschwege sorgen für Unterhaltung und spannende Einblicke in die Vereinsarbeit.
Auch für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt: Neben Kaffee, Kuchen, Waffeln und Eis gibt es herzhafte Speisen vom Grill und kühle Getränke. Bereits eine Woche vorher, am Samstag, 16. August, stellt der Verein ab 10 Uhr in der Eschweger Innenstadt an der Ecke Forstgasse ein Segelflugzeug aus. Dort können Interessierte nicht nur im Cockpit probesitzen, sondern auch Tickets für die Schnupperflüge und Lose für die große Tombola erwerben, deren Preisvergabe am Tag der offenen Tür stattfindet.